Die Filmstarts-Kritik zu Mama (2024)

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Mama

Kritik der FILMSTARTS-Redaktion

3,0

solide

Mama

Von Carsten Baumgardt

Die große Finanz- und Bankenkrise von 2008 und ihre Folgen sind momentan auch im Kino ein fast allgegenwärtiges Thema, das auch in Genre-Filmen regelmäßig deutliche Spuren hinterlässt. So nutzt der Argentinier Andres Muschietti diese Bedrohung der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung in seinem übernatürlichen Horror-Thriller „Mama" als schlüssigen Ausgangspunkt für eine Erzählung vom individuellen Abdriften in den kriminellen Wahnsinn, verliert den aktuellen Bezug aber im Verlauf seines Geister-Spuks immer stärker aus den Augen. Was deshalb an thematischer Tiefe fehlen mag, macht der Jung-Regisseur indes zu großen Teilen durch inszenatorische Raffinesse wett. Sein Talent ist offensichtlich und so verwundert es nicht, dass die Genrespezialisten Guillermo del Toro („Pans Labyrinth") und Juan Carlos Fresnadillo („28 Weeks Later") von Muschiettis Kurzfilm „Mamá" (den ihr euch bei uns vollständig anschauen könnt) so begeistert waren, dass sie ihrem jungen Kollegen halfen, den Stoff zu einem abendfüllenden Opus auszuarbeiten und auf die große Leinwand zu hieven. Das Ergebnis ist ein ordentliches Kinodebüt, das zwar voller Klischees steckt, aber dank der dichten Atmosphäre und der hervorragenden Hauptdarstellerin Jessica Chastain dennoch fesselnde Unterhaltung bietet.

Die weltweite Finanzkrise hat den Manager Jeffrey (Nikolaj Coster-Waldau) hart getroffen und eines Tages rastet er komplett aus: Nachdem er seine Frau ermordet hat („Mama geht es heute nicht so gut!"), bringt er seine beiden jungen Töchter Victoria (Megan Charpentier) und Lilly (Isabelle Nélisse) in eine abgelegene Waldhütte, um dort auch ihr Leben und dann sein eigenes zu beenden. Doch gerade als Jeffrey den Revolver an Victorias Kopf ansetzt, greift ein Geist ein und tötet ihn. Seither gelten Vater und Töchter als vermisst, aber Jeffreys Bruder Lucas (ebenfalls Nikolaj Coster-Waldau) hat die Suche nach ihnen auch fünf Jahre später noch nicht aufgegeben - seine Freundin, die Goth-Rock-Musikerin Annabel (Jessica Chastain), ist inzwischen sogar schon ein wenig genervt von seiner Besessenheit. Als die Mädchen dann doch noch völlig verwahrlost und verwildert in der versteckten Hütte entdeckt werden, ist die Erleichterung zunächst groß. Die verstörten Kinder finden allerdings nur schwer zurück in die zivilisierte Welt und machen nur langsam Fortschritte. Mit ihnen ist nämlich auch Mama (Javier Botet) bei Lucas und Annabel, die das Sorgerecht erhalten haben, eingezogen – eben jener Geist, der die Mädchen gerettet hat, der aber auch verdammt eifersüchtig ist...

Die Filmstarts-Kritik zu Mama (1)

In Nordamerika entpuppte sich „Mama" als kommerziell erstaunlich erfolgreiches Debüt, denn die für nur 15 Millionen Dollar realisierte spanisch-kanadische Co-Produktion spielte mit 71 Millionen Dollar mehr Geld ein als jeder andere Horrorfilm im ganzen Jahr 2012. Nicht ohne Grund: Die Schauwerte des Geister-Horrors sind bemerkenswert und mit seiner geschickten Inszenierung hält Andres Muschietti die Spannung innerhalb der einzelnen Szenen hoch. Er macht nicht den Fehler, seinen gar nicht so rätselhaften Geist, der handfest in der realen Welt zupacken kann, zu früh zu detailliert zu zeigen, sondern streut immer mal wieder verhuschte Bilder ein, bevor er uns einen genauen Blick auf die CGI-unterstützte Mama gönnt. Trotz dieser Zurückhaltung steht die Existenz des unheimlichen Hausgastes für das Publikum nie in Frage, offen bleibt allerdings zunächst, in welcher Beziehung Mama zu den Kindern steht und wie gefährlich sie für deren neue Erziehungsberechtigte ist. Dieses Konfliktpotenzial nutzt Muschietti genüsslich aus, während er zeitgleich die Hintergrundgeschichte des Geistes aufrollt, in dessen Vergangenheit zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Schlüssel zu allem Unheil zu liegen scheint.

Die Verschränkung der verschiedenen Handlungsebenen ist schlüssig und die Balance zwischen ihnen stimmt, aber für die Einzelheiten bedient sich der Regisseur und Drehbuchautor doch allzu großzügig in der Klischee-Mottenkiste. Dadurch wird „Mama" gerade für den Genre-Kenner arg vorhersehbar, was die Spannung zumindest in einzelnen Szenen mindert. Dazu bleiben auch die meisten Figuren Abziehbilder, denen ihr unausweichliches Schicksal von vornherein eingeschrieben ist (als Beispiel sei nur auf den Psychiater Dr. Dreyfuss und auf die Großtante Jean verwiesen). Dabei hat es mit der eingangs etablierten hochspannenden Ausgangssituation mit dem durch die Wirtschaftskrise in den finanziellen und moralischen Ruin gestürzten Manager so vielversprechend angefangen. Doch das zeitkritische Thema wird schnell fallengelassen und schließlich wird ganz auf konventionelle Erzählweise umgeschaltet – das reicht dann vom emotional packenden Start bis zum vor Computereffekten strotzenden Finale, wo Muschietti seine bis dahin durchaus wirkungsvolle inszenatorische Zurückhaltung vollkommen aufgibt und sich dem Overkill hingibt: Je mehr Mama, der Geist dominiert, desto mehr verliert „Mama", der Film. Die düster-gruselige Atmosphäre, die das Werk bis dahin bestens trägt, wird durch die abschließende CGI-Orgie gründlich zunichte gemacht.

„Mama" hat einige unübersehbare Schwächen, die Leistungen der Schauspieler gehören aber nicht dazu. „Game of Thrones"-Star Nikolaj Coster-Waldau („Firewall", „Wimbledon") überzeugt als standhafter, sich sorgender Onkel, der sich bis zur Selbstaufgabe engagiert. Doch zum Star und Taktgeber des Films wird nach und nach Jessica Chastain („The Tree Of Life", „The Help") als Annabel. Auf dem Papier mag der Rotschopf aus Kalifornien einem in der Rolle der tätowierten Goth-Punk-Musiker mit kurzen dunklen Haaren als glatte Typ-Fehlbesetzung erscheinen. Doch diese Frau ist ein wahres Chamäleon: Kurz nachdem sie für ihren grundverschiedenen Part in Kathryn Bigelows herausragendem Wir-jagen-Bin-Laden-Film „Zero Dark Thirty" trotz sensationeller Leistung am Oscar vorbeigeschrammt ist, spielt Chastain die anfangs mit den Kindern überforderte Annabel so lebendig und nuancenreich, dass in jeder ihrer Szenen der Keim eines deutlich besseren Films steckt als dieser. Chastain entwirft einen komplexen und dynamischen Charakter mit einer schlüssigen Entwicklung, dazu sorgt sie für jene kleinen Überraschungsmomente und die innere Spannung - besonders auch im Zusammenspiel mit den beiden jungen Darstellern Megan Charpentier („Resident Evil 5") und Isabelle Nélisse („Whitewash").

Fazit: Das Mutter-Phantom in Andres Muschiettis Geister-Thriller „Mama" ist mächtig sauer. Das bringt den Figuren des Horror-Films viele Unannehmlichkeiten – und dem Publikum ein solides Genre-Vergnügen mit mehr Licht als Schatten.

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